Der rote Ring
Sie trat in das Marktcafé und vor meine Augen, das weiß ich noch: Ich sehe sie. Aber seit diesem Moment: Rausch; alles Umgebende in Undeutlichkeit getaucht, Tauchglockenwahrnehmung, unscharf, unbedeutend. Schall und Rauch in Mund und Schädel, schließlich Schall: berauschtes Plappern wie ein Wasserfall, mal zäh mäandernd weithin fließend, mal in Stakkato hingeschossen: unentschärfte Sätze feiern Schützenfest und schlagen ein wie Salven: Schall und Schall und keine Schonung, nur der Rausch. Ich weiß nur noch, ich sehe sie: die schwarze Kette um den zarten Hals, und ich rede völlig ungefiltert, fern von Logik oder Fehlerfreiheit, logisch unhaltbar und untragbar, untrüglich: Rausch!, ein Lawinenreden ohne Komma oder Pause rast absatzlos in Sinnverzicht, ich rede völlig ungefiltert vor sie hin von Filmen, Fernweh und dem Fernseh’n, dem miesen deutschen Fernseh’n insbesondere und hacke nach und trete nach, nimm das du mieses Fernseh’n, und denk in meiner Raserei, dem Rausch des völlig Faszinierten unter diesem Feuerwerk, das ihre Augen sind, rein gar nichts, sondern sehe nur: der rote Ring an dieser sanften Hand, und ich rede wie von Sinnen vor sie hin und auf sie ein und werf mich ihr besinnungslos entgegen ohne Gegenwehr, ja, wahrlich wahnhaft wie die Geisel dem Entführer gegenüber und entgegen jedem Ratschlag der Vernunft, die heute Urlaub macht, entgegen jedem Trug, den man Kontrolle nennt, und kent’re so mit meinen Worten, leide Schiffbruch an den Küsten ihres Schweigens, das mich ohne Mühe machtlos lächelt, ach, dies Los der Auslief’rung: aus das Denken, aus Verstehen, da sitzt sie und ich bin Sehen: die Fingerkuppe auf den weichen Lippen, und wie Regen prasselt meine Rede auf sie ein, von Bäumen, Zwiebeln, Krieg, Kaminen, Reisen, Eltern und den Rollen, die wir spielen, von Libido und Lust und Macht und vielem, was die Menschen „lieben“, und all den tausend Unterschieden und von Ehrgeiz, insbesondere dem fehlenden, von Musen, Medizin, Musik und Poesie und diesem jenem eigentlich so ziemlich allem, was ich je gehört, gesehen und gelesen oder gar gedacht, im Grunde dieses ganze Elend und das Reich, das man den Menschen nennt, so vor ihre Füße ausgebreitet, ohne ihre Füße je zu fürchten, ganz im Bann des Augenblicks, verbannt aus Kopf und Zweifel, losgelöst und zweifelsohne ohnmächtig gedankenstumm im Bann des Sehens, ja, ich weiß nur noch: ich sehe sie und: ihre Augen, und der Rest war Rausch.