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Für G.

Anfangen müsste man, aus dem Blauen oder vom Kontinent im Kriegsnebel heraus, aus der angeblichen Ahnungslosigkeit heraus, und wenn nicht ganz aus dem Unbekannten, dann doch von einem aufgedrängten Gedanken ausgehend, denke (wie: siehe) Canetti: Nicht von einem Gedanken, sondern von tausend Gedanken aus weiterdenken, nicht von einem Punkt, von all jenen, die man Sprungbretter oder Seilbahnen oder Gipfel nennen könnte, Punkte an Grenzen also, die auf das Kommende, Andere, Tiefere, Weitere, das Nichtmehrdieses, sondern Zukünftige oder Nochzuentdeckende verweisen. Dort also müsste man anfangen, gar nicht aus dem Anflug einer Mutprobe heraus, dem Gedanken folgend, man hätte sich oder irgendjemandem etwas zu beweisen, etwas zu belegen undoder die Apologie des Scheiterns vorzulegen, aber einem Impuls folgen, dem Impuls einer Eingebung beispielsweise, dem Moment eines Aufkeimens, einem Anfang, d.h. den Sprung wagen, d.h. den Moment der Kopfgeburt nicht abbrechen, sondern gelten und gewähren lassen und dem Folgenden folgen. Anfangen heißt also zunächst: bemerken, erkennen, gelten lassen, und das heißt: offen gegen das Auftauchende, neugierig auf den Impuls zu sein. (Hier der Impuls: das ist wieder so ekelhaft-erbärmlich seichte Scheiße, allein der Versuch schon beschämend, all die simplen schmucklosen tristen Worte – und der durchschaute Versuch, davon durch Adjektivreihung abzulenken, Abbruch Abbruch! schreit die Kritik, aber um das Scheitern vorzuführen, die permanente Bedrohung unter der alles zu Schaffende aufzubegehren versucht, um das zu verdeutlichen, muss auch jeder misslungene Satz, jede sich vielleicht schon im nächsten Durchgang als Satzleiche erweisende Wortanordnung herhalten, als Beweis, tote Zeugen einer rücksichtslosen Tilgung sozusagen. Also weiter, gegen die Kritik, gegen das aufziehende Schweigen, in das man wieder verfällt, wenn man ablässt, es verminderwertigt, abtut aus Angst vor Mittelmäßigkeit, so als sei Mittelmäßigkeit das Widerlichste, das selbstproduzierte, selbstdosierte, selbstvernichtende Gift). (Hier habe ich den Gedanken kurz verloren und muss hochscrollen, um den eben noch gerittenen gelenkten befeuerten, nun entkommenen verlorenen Gedankenzug wieder zu erreichen, aber hier denke ich, dass der Gedankenzug keine so überzeugende Metapher darstellt, aus dem Eenglischen, train of thought, so heißt es doch, denke ich, und denke weiter, dass das diese Metapher dem Denkprozess ja nicht gerecht wird, eine illegitime Komplexitätsreduktion, denn springt das Denken nicht, rast es nicht, mäandert es nicht, steht es nicht im Wald und glotzt und weiß für mindestens 17 Sekunden nicht: in welche Richtung? Verläuft es (sich) nicht? Welches Denken folgt denn dem eindeutig-einspurigen Gleis? Gleis wohin überhaupt? In Städte, Provinzbahnhöfe? Und käme dann wie ein schlafendes Stahlross schlicht in irgendeinem Bahnhofsgebäude zur Ruhe, ohne jemals einmal, außer im schlimmsten Fall, das Gleis zu verlassen? Eine Atombombe, das wäre so eine Metapher für manche Gedanken, wenn es nicht so ekelhaft deplatziert wäre. Aber vielleicht ist das die Wirkung des sogenannten Populären: Das man an Wucht und visuelles Haudruff und ästhetisch nicht unbeeindruckende Atompilze denkt und nicht an hunderttausende Tote und zu Fett und Schatten verbrannte Menschen und missgebildete Kinder. Hier An dieser Stelle breche ich diesen Gedanken ab und scrolle nach oben.)

Ich würde also gern, denke ich und schreibe ich, sehr gern vielen anderen, mir in diesem Punkt sehr ähnlichen Menschen, d.h. in dem Punkt des Selbstzweifels und das heißt in der Auslieferung an das des unentwegten Innerlichkeitsgericht, einen Gedanken vorstellen, einen ihnen natürlich bekannten Gedanken. Also die Unterstellung, etwas sei Perfektion, Vollkommenheit und schlichtweg unantastbar, das ist die selbstvernichtende, verschattende. Ich Ddenke: Bernhard, Alte Meister. Dieser Text und so viele andere, warum kommen diese Texte nicht in die Schulen? Die Refugien, die Oasen, die Rettungsringe sind ja da. Der Gedanke an Perfektion ist der dreifach verzehrende, erstens der kapitalistische Wettstreit darin, der kompromittierende Konkurrenzgedanke, die Wertabhängigkeit, der aus dem Blick und aus dem Denken entlassene Wert-an-Sich, zweitens der Schluss von der gewähnten Perfektion auf die eigene Mittelmäßigkeit, die Unterordnung des Eigenen, der Zweifel daran, drittens die offenbar versagte oder zumindest suspendierte Akzeptanz all dessen, was nicht perfekt, vollkommen, gut ist. Man sehe sich in der Welt um, wo erblickt man Perfektion? In der gerechten Verteilung von Eigentum? In den politischen Systemen? In den religiösen Angeboten? In der Geschichte der menschlichen Auseinandersetzungen? In der Form des menschlichen Ohres? In … – So findet also der große Selbstkritiker Perfektion vielleicht in der Kunst? Kunst, die – in welchem Verhältnis auch immer sie zu sogenannten Wirklichkeit steht – diese Welt abbildet oder interpretiert, sublimiert oder für einen Moment zu vergessen hilft, diese Kunst ausgerechnet sollte perfekt sein, sie, die wie alles der Konstruktion und Vorstellung von der Welt, und also der Welt selbst entspringt? Was bildet die Perfektion ab, wenn sie sonst nirgendwo zu finden ist? Ist sie dann nicht das wirkmächtigste Gespenst, ein Gespenst, nicht nur nicht von dieser Welt, sondern auch von keiner anderen? So manche Gespenster verweisen immerhin noch auf eine Welt, eine vergangene oder untergegangene, auf ein Unrecht, einen Fluch oder ein Verbrechen und so wird im Gespenst die Vergangenheit präsent. Doch was wird im Gespenst der Perfektion präsent, wovon kündet es, was bildet es vermeintlich ab? Und wenn nicht Abbildung, wozu motiviert sie die Perfektion (zum Unweltlichen?), was sublimiert, worauf antwortet sie (die eigene so peinigend empfundene Armseligkeit, die Verletzlichkeit, Unzulänglichkeit, …?)? Kann eine wie auch immer geartete Perfektion überhaupt Kunst sein? Versöhnt sie denn? Befähigt sie uns denn? Tröstet sie denn? – Und warum klingt jede rhetorische Wiederholung so ekelhaft nach Sermon und Priestergeschwafel und warum kann man Priestern eigentlich keine Fragen glauben?)

Ich denke mir, es ist spät, ich gucke nach, es ist 02:08, die Reflexion könnte noch stundenlang („stundenlang“, denke ich, könnte ja gegen mich verwendet werden, so als würde einer denken, „stundenlang“ kann ja nur jemand schreiben, der sich für sehr reflektiert und/oder ausdauernd hält, und wie arrogant ist das denn, das, denke ich, könnte einer denken und denke, vielleicht sollte ich das verschweigen, schließlich kann ja keiner das Gelöschte lesen, schließlich kann ja keiner das Gedachte erahnen, du könntest, denke ich, in jedem Schreibakt und mit jedem Gedanken und jedem Wort lenken und damit denken lassen, wie du willst, denke mir dann aber, es wäre ja gerade in diesem Versuch einer Öffnung nicht rechtens es zu verschweigen, obgleich ich natürlich denke, dass diese relativierenden Meta-Sätze natürlich auch eine antizipierende Abwehr bilden, die genau jene Reaktion evozieren könnten, die sie ursprünglich zu hemmen vermeiden unterdrücken versuchten), also es ist spät, und welches Thema kann schon in einem Schreibvorgang eindeutig und endgültig, d.h. vollumfänglich und gleichermaßen verständlich abgehandelt werden. Hier gucke ich kurz durch mein Zimmer und überlege: Vielleicht der Akt des Streichholzanzündens. Aber kenne ich denn alle Arten, ein Streichholz anzuzünden? Ich denke mir, nein, und denke mir: das führt zu weit, Disziplin, zurück zum Thema. Ich will eigentlich zu demm Punkt kommen, dass der Selbstkritiker Materialträger, Mikroskop und Auge in einem ist, und nicht nur ein Auge und nicht nur eine Einstellung am Mikroskop und nicht nur ein … (jetzt denke ich mir: „Materialträger“? Das ist doch nicht der korrekte Terminus; ich suche kurz bei Wikipedia. „Objektträger“, das ist der erste Begriff, der sich aus einer Illustration eines Durchlichtmikroskops entnehmen lässt, und sofort denke ich: Wie passend, das Subjekt, das sich als Objekt betrachtet, wohl wissend, dass das Objekt Subjekt ist, und frage mich, wie viele Pfeile, die Betrachtung illustrieren würden, müssten eigentlich eingezeichnet werden, wenn man das Verhältnis zwischen dem sich selbst reflektierenden Subjekt-Objekt-Subjekt abbilden wollte? Und wird nicht Subjekt1 nach der Erkenntnis, dass das Objekt Subjekt ist im darauffolgenden Strahl des Objektsubjekts erneut zum Objekt? Oder darf man das gar nicht teilen? Könnte man nicht sagen, es sei eine Entität, in der im Betrachtwerden das Objekthafte dominiert im Betrachtetwerden, und während das Subjekthafte in der Betrachtung dominiert und dass es möglicherweise gerade im Schreiben eine ganz faszinierende Patt-Situation gibt, einen möglicherweise endlosen Positionstausch, der noch während der Bewegung die Bewegung beliebig oft ändert, immer wieder hin und her, beides seiend, voller Pfeile? Nicht, dass der Text als das nun Objektivierte mich betrachtet, aber betrachte ich mich als Schreibender nicht gerade selbst, spreche ich nicht mit mir und diesem und jenem impliziten Leser? Und darf ich auf „Leserin“ verzichten, ohne dass das innere Gericht droht? Ich denke mir, hier habe die meisten Leser ohnehin verloren, aber sollte ich deshalb den Gedankengang, den ich niedergeschrieben habe, tilgen? Ist er unwahr? Unwichtig? Nein, auch wenn er, wie ich fürchte, nicht überzeugend ist,; dann erst recht nicht. Als sei das Charakteristikum menschlichen Schaffens allen voran: dass es überzeugend sei. Wie dem auch sei. Ich will eigentlich etwas in einem Gespräch bereits Gesagtes wiederholen, und das heißt erneut konstatieren: dass der kritische Geist, der bemängelnde, der zerstörerische (Denken ist seinem Wesen nach Zerstörung, denke ich, das hat Cioran oder Bernhard oder jemand aus dieser dunklen Ecke des Kosmos geschrieben) keiner ist, der sich unentwegt Minderwertiges entgehen ließe. So als schmuggele die eigene Unfähigkeit in geradezu unfassbar gewiefter Weise das Dumme und Oberflächliche, das peinlich Unterbelichtete und Minderbemittelte an unserer Selbstkritik vorbei. Als könne dieser Zerstörer solang schlafen und so tun, als könne er das: schlafen. Der Albtraum, der jede Faser annagende: dass man jahrelang nur Scheiße gedacht und Scheiße gelebt und Scheiße verzapft hat, und es nie gemerkt hat. Lieber sich vorher kasteien, und zwar gründlich und den etwaigen Rest an zu Bezweifelbarem ausmerzen. Alles, nur nicht diese Erkenntnis: jahrelang nichts erkannt zu haben. Vielleicht daher diese Vehemenz gegen sich, das fanatisch Detektivischeieser Fanatismus eines paranoiden Detektivs, die richterliche Anklage, das Lauerliegen, die rücksichtsloseste Radarkontrolle: ist dort ein Fehler? Raketen scharf und weggebombt! Keine Mittelmäßigkeit! Es gibt’s nichts zu verzeihen, nichts zu dulden, kein Pardon. Kein Satz, der nicht Bewunderung auslöst. Kein Text, der nicht das Leben jedes zweiten Lesers in seinen Grundfesten erschüttert, erschaudern, ja, wieder Glauben lässt. Nichts weniger als eine Bibel, und in diesem Fall: eine ernstzunehmende, eine humane, eine, die nicht den menschlichen Geist beleidigende beleidigt. Alles andere wird ja nicht geduldet, und das heißt: man selbst nicht, und der Gegenüber nicht und die Welt nicht, eben weil die Kritik so maßlos ist, und die Angst so groß, und die Ohnmacht so lebenslang lebenslänglich.

Das klingt doch ganz gut, denke ich, das hat sowas mild-pathetisches, das rummst rumst, denke ich, Klimax, check, die Verbindung von Ratio und Emotion, check, und dann natürlich die Ohnmacht, also ganz falsch ist das sicher nicht. Ich denke mir: das ist ein Anfang, und da könnte ich weitermachen und würde es vielleicht, wenn ich nicht Kopfschmerzen hätte, die rechte Schulter zwickt, es ist 02:32, und ich muss ja auch den gesamten Text, dessen Wartepausen zwischen den Worten leider nicht mit aufgenommen werden, zumindest noch etwas korrigieren, verbessern, optimieren!, und so, Kapitalismus eben, die Schere im Kopf, der Verbrennungsmotor, das Nichtgenügende-auf-immer-zu-Verbessernde, also nach oben, ein Ende zum Anfang denken, bzw. Anfang und Ende so gestalten, dass es einen Zusammenhang simuliert, wo anfangs keiner war.

Hier mache ich das Programm Speedometer an, um zumindest die Korrekturen messen zu können.

Um 03:12 zählt das Programm seit Beginn der Überarbeitung (ohne diese seit „03:12“ getippten Tasten) 3324 „Total Keystrokes“, 3059 „Printable Characters“, 300 „Backspace and Delete“, 9% „Backspace and Delete“, 44 „Words per minute“ und eine „Total Typing time“ von 12 Minuten und 44 Sekunden.

Mir gefällt der Titel nicht, denke ich jetzt. „Öffnen“ klingt nach gar nichts. Um den jetzt aber noch zu ändern, fehlt mir die Geduld. „Das langsame Öffnen einer Absperrplane“ – das wäre was, denke ich. Passt aber nicht, denn was wäre in diesem Bild die Leiche? „Das behutsame Öffnen des Vorhangs“ – vielleicht so, denke ich. Aber das ist so eine abgegriffene Metapher, bloß nichts Phrasenhaftes, denke ich, und denke sofort: oh scheiße, irgendwo im Text sind bestimmt Phrasen. Aber irgendwann muss Schluss sein oder anders, beziehungsweise beziehungsweise: irgendwann ist Schluss. Und kaum ein Text ist es wert, ihn bis zum Tod immer und immer wieder bis zu einer gewähnten und ja nie erreichten Perfektion zu bearbeiten. Und wie sollte ein immer zu überarbeitender Text jemals perfekt sein. Wäre das nicht ein Kriterium für Perfektion: Abgeschlossenheit? Scheiße, denke ich, ich habe nicht über die subjektiven Definitionen und Kriterien von Perfektion nachgedacht! Ausgerechnet der menschliche Makel, der große Fehlerfaktor schlechthin. Das müsste ich jetzt nachliefern, denke ich.  Aber ich lasse es und denke mir, dass ich mir das ruhig erlauben kann, nein, mir erlauben sollte, nein, erlauben muss. Müssen wollen!, denke ich und denke: nein, bloß nicht wieder anfangen, ruhig mal ein Ende, wenn auch ein vorläufiges, gelten lassen. Gelten lassen, ja, denke ich, pathetisch irgendwie, aber kann ich am Ende ruhig gelten lassen.