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Herr Neumann spielt nicht mehr Lotto

Jahrelang habe er sich absichtlich zurückgehalten. Und jetzt? Ganz die Empörung und geradezu wirsch zerschmettert Neumann eine imaginäre Fliege mit der niedersausenden Nachdrucksfaust. Und jetzt? Das ist doch die Höhe/das Letzte/unglaublich/nicht zu fassen/der Gipfel/eine Unverschämtheit – Herr Neumann ist außer sich! Er weiß gar nicht, was er sagen soll. Neben lauter Schaum und heißer Luft sprudeln nur Phrasen aus dem Mund und bilden zu seinen Füßen eine kleine warme Phrasenpfütze, in der sein aufgescheuchtes Inneres ganz vehement herumstampft. Die Wut hatte ihn zum Sprachrohr gemacht, so stand er da, einer Marionette nicht gänzlich unähnlich, um wie auf Befehl „wie unverschämt!“ hinauszutröten. Wie konnte es soweit kommen?
Er hat sich in Rage geredet, zugegeben, das hatte er nicht erwartet. Sonst sei er die Ruhe selbst – seine Worte. Nun war die Ruhe wer anderes und vom Selbst wenig übrig. Aber dieses Selbst, dieses hin- und herschreiende eskalierte Selbst von Herrn Neumann – was hatte es denn eigentlich erwartet? Herr Neumann, wie kam es zu all dem, können Sie uns das in einem ruhigen, beherrschten Moment sagen?
Ich habe jahrelang nicht Lotto gespielt. Absichtlich, mildtätig, rücksichtsvoll, wie Sie wollen. Ich habe jahrelang alle Anderen gewinnen lassen, selbst die, die es vielleicht gar nicht so nötig, so dringend nötig hatten wie ich. Ich habe von mir abgesehen und den Blick auf die Not der Stunde gerichtet. Das war wichtiger: viele litten Not, da konnte ich den Blick nicht abwenden. Jahrelang nur der Blick auf die Not der Stunde, diese ewige Stunde der Not. Ja, ohne etwas zu verlangen, ohne hier irgendeine Rechnung anzustellen oder so, ich gönne das jedem, ohne einen Funken Neid habe ich leise und freundlich alle gewinnen lassen, jahrelang: Ich habe auf ein Mitspielen verzichtet, nur damit alle anderen gewinnen können. Und so wurde ja nun auch viel Not gelindert, nicht? Leute haben Geld gewonnen, wurden glücklich, gut, sehr sehr gut, dabei ich will ich gar nicht sagen, dass das mein Verdienst sei, zumindest nicht allein mein Verdienst, das will ich gar nicht sagen. Aber ich hätte mitspielen und ich hätte gewinnen können – und hab es nicht getan, auch in der Stunde der Not nicht. Ich erwarte gar keinen Dank, missverstehen Sie mich nicht. Natürlich könnten Sie mir danken, es wäre nicht verkehrt – das nicht -, aber ich verlange es ja gar nicht. Es ist doch so: ich hätte mitspielen und gewinnen können, ich hätte Millionen gewinnen können und

Ja, aber Herr Neumann, das äh …
Nein, unterbrechen Sie mich nicht. Ich weiß schon, was sie sagen wollen. Ich lasse mir nichts einreden. Jahrelang habe ich nicht gespielt, knapp 30 Jahre habe ich nicht Lotto gespielt und nun, in der höchsten Not, wo mir im Grunde gar nichts anderes übrig blieb, das können Sie mir glauben!, in der allerhöchsten Not habe ich nun auch Lotto gespielt – und einfach nicht gewonnen. … Unglaub- es ist ein Skandal! Wo ist da die Gerechtigkeit, frage ich Sie, hä?

Aber Herr Neumann…

Wo ist da die Gerechtigkeit?! Nie wieder, das sag ich Ihnen! Jahrelang – und dann das. Unglaublich. Das ist der Dank? Das ist der Dank? Die spielen mit einem, so siehts doch aus, die spielen mit Leben – und laufen frei herum, während ich

Aber Herr Neumann…

Wo ist da die Gerechtigkeit?!