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Nur ein VW

Die Zierkirschen säumten die Straße und blühten den Beton bedeutungslos; ließen ihn samt der grauen hochragenden Häuser, die Haltestellen und hässlichen Fassaden funktionalisierter Bauten verblassen und verschwinden hinter dem staunenden Blick auf die plötzliche Pracht. Dieser Blick auf Bäume in Blüte, der sich trotz jahrelangen Sehens nicht abnutzt, nicht abstumpft, immernoch wirkt und wie erneuert jedes Jahr mit jeder Blüte undsoweiter – eher nutzt die Sprache ab als dieser Blick. So geh ich staunend die Straße hoch und mustere die einziggültigen Kronen, was heißt mustern, schaue ohne diesen Drang zu irgendeiner Prüfung einfach an, einvernehmlich in Seinsgebundenheit des Sehens, froh, dass es ist, sonst nichts, sehe und sehe, ohne mich satt zu sehen, wiemansosagt, weil dies Sehen kein Essen, auch kein Registrieren ist, kein Einvernehmen oder Landkartenlesen, das Verstehen will, nur Sehen, sonst nichts. Hingabe an Umgebung, die Umgebungsgabe, wie auch immer, Wörter rieseln mir aus dem Kopf wie Blätter fallen. Muss jetzt nicht denken, Sehen reicht.

Da fällt mir die Frau auf. Wie sie auf der Straße steht, ein Handy zückt und da steht, mitten auf der rechten Fahrbahnseite unter einer weiß blühenden Baumkrone. Ein gleichgesinnter, gleichsehender Mensch? Ich bleibe stehen, richte den Blick von den Bäumen auf sie, frage mich, ob sie die Blüten wirklich fotografieren will, so gegen die Sonne. Es sieht so aus. Sie hantiert etwas ungeschickt mit ihrer Tasche, die am Ellbogen zerrt und ganz offensichtlich den fotografischen Akt behindert. Von weiter her höre ich, sehe ich ein Auto. Sie wird das auch hören, warum sollte ich ihr Sehen unterbrechen. Ich frage mich noch, ob ich was sage, da senkt sie den Arm, dreht sich leicht zur Seite, bückt sich und fotografiert den VW, der unter dem Baum am Straßenrand parkt. Sie verlässt die Straße, kniet sich hin und fotografiert auch das Kennzeichen. Ob sie das Auto erfasst oder noch Selfies gemacht hat, weiß ich nicht, ich hatte den Blick bereits abgewandt.