Heute ohne Gehirn aufgestanden. Erst der Verdacht, dann der Versuch, dann Versagen. Soweit so erwartungsgemäß, irgendwas war weg oder weniger, wie immer. Es war gleich so seltsam spurlos im Schädel: etwaige Zelte abgebrochen, getürmte Worte, Wind, der nichts zu spielen hat und trostlos übers Kopfsteinpflaster spült; nur ein leergefegter Marktplatz samt der Reste getätigter Geschäfte, Turbulenzen, Tausch und Trubel: abgeknickte Blumenstängel, Pfützen, Plastiktüten, einzwei Trauben, achtlos hingeworfne Taschentücher, Zigarretten, meist nur Stummel, alles in allem wenig bis nichts übrig, nicht weiter tragische Übrigkeiten und ein Handschuh am Gitter. Irgendwas war gestern, und heut fehlt jede Spur davon, da hilft kein Kratzen oder Klopfen an der Schädeldecke.
Gestern war es wohl noch da, wenn auch nur walnussgroß in einem Alu-All aus Schall und Rauch nachbarlicher Gartengrills; Männer, die auf Würste starren, Nebelschwaden und Geschmack von Rost und Sommerlochwochen. Kinder in Kostümen, Silhouetten von Schablonenfrauen und das ordinäre Gekläff der Halsbandmeinungen. Alles Gift für ein Gehirn. Gestern hing es halbwegs lose noch herum wie ein Glocke, die nur Freitags schlägt, nun ist es ohne Frühstück weg. Wie unverschämt, ich komm mir vor, wie eine leergeräumte Bude. Gestern konnt ich noch ein Echo hören, immerhin: wie eine kleine Murmel mit immensem Sprung in einer Höhle groß genug für Urzeitmonster (und n Platon, der am Feuer friert). Klack Klack – Klampf. Dann nichts und heute ohne. Um so schlimmer, als ich nicht mehr weiß, was gestern war.
Hatte noch geträumt: ich versteckt im Dickicht, urzeitlich, umzingelt von den tausend grünen Gliedern eines Urwalds und die Gier, den Atem und die Schneidezähne zügelnd, noch im Schutz der Zweige, harrend, hungrig, horchend auf jedwede noch so kleine sich verratende Bewegung und höchst bewusst in der Vermeidung jedes noch so leisen Lautes, der nur warnen würde: in den Ohren bebt der Puls, dazu der Rausch der Gier und Blicke voller Jägerslust, dann endlich: die sich behutsam nähernde Beute ganz im Glauben an die unberührte Lichtung, tapsend, scheu und zögernd, will nur etwas Wasser, will nur grasen, recht so, soll die Beute in dem Glauben bleiben, die Jäger warten draußen. Noch einen Moment hinter diesem Baum, noch diese eine lange, viel zu lange Gleichnichtmehrsekunde, dann… da plötzlich dieser Blick der Beute, die um die Verfolgung weiß und … da zerspringt das Bild, und grelles Licht und Flimmern, all die grünen Glieder dieses Walds werden eins und wuchern und verschwimmen … Was zum ? – Die Brille, meine Brille!, schießts mir durch den Schädel, wo ist die verdammte Brille! und hab nur dicke Haut und keine Taschen, finde nichts und fuchtle wie im Wahn mit meinen Klauen, bis die Beute über alle Berge ist. Das war’s. Natürlich. Dinosaurier ohne Brille! – Gibt’s ja gar nicht. Was hab ich mir gedacht! Dich
kann’s gar nicht gegeben haben, denk ich noch, und steh im Wald. Dann wach ich auf und liege hier und sitze da und such die Brille, sehe wieder: erinnert irgendwie an Urwald – dann wälz ich mich hinauf in diesen Tag und steig hinein wie in zu enge Schuhe, freilich ohne ein Gehirn.
Ich stehe noch minutenlang wie Täler liegen, stampfe dann vor meinen Spiegel und kann mir kaum die Zähne putzen: hab so kurze Stummelarme mit so scharfen Klauen. Könnte klagen über das Zuviel an Körper, das mir unwuchtbar im Wege steht, und all die Leere, die mal wieder vor mir aufgestanden war und nun das Klo besetzt und scheißt und scheißt, als gäbe es kein Morgen mehr. Die Leere stinkt. Na, guten Rutsch und schönen guten Morgen: sonnenlichtlos in einer Badezimmerzelle. Erstmal bloß: verdauen. Komme nicht an mir vorbei und dieser Masse, diesem Damm aus Muskeln ohne Macht und mache „aaaaaah“ und streck die Zunge raus und lass die Schneidezähne blitzen und die knopflochgroßen Augen funkeln. Tyrannosaurus, mehr
ermüdet als erfreut. Aber ja, ich bin ein Urzeitmonster stattlichster Natur mit Geschmack von Blut im Maul und viehischen Gelüsten, mit so einem langen schweren Schwanz und nichts zu tun. – Dann eben halbwegs Zähneputzen und mit matten Augen morsen: diese Schwermut sterbender Spezies. Was bessres fällt mir heut nicht ein.
Ein Bücken im Stehen; die Blicke in ein Waswargestern, wie faltenvolle Elefanten in der üblichen Tristesse einer Savanne ohne Rand. Da hinten grasen Zebras, hier ist alles
ziemlich grau. Und die Wattestäbchen liegen nutzlos quer. Was solls. Dreckige Schachfliesen, auf die ich immer wieder treten muss und der Rasierer voll von Staub. Was solls. Der Spiegel bügelt mich. Die Augen dampfen. Ich spucke Blut und Speichel aus und kratz mit meinen kleinen Krallen meine Hungerhöhle: Immer dieser Appetit, das Gestern heut und morgen. Wie mir das im Magen liegt und droht, dies Urzeitvieh, dies Immerschonundseitjeher, ich nenn es mal Melanchosaurus cubans, kurz vor Sinnfluchttod. So geht das schon zu lange nicht – und liegt nur in der Irre. Liegt herum und schaut mal hin und wieder dieser Welt auf ihren Rücken. Liegt jedoch nicht an den Augen. Ein Ende ist ja stets in Sicht. Wenn auch nur eins – was nicht befriedigt. Wie der Blick zur Klospülung, die nicht für alle eine Hoffnung ist.
Ich wende meine Augen ab, und lass die Leere scheißen. Soll sie doch. Ich ignorier das mal. Und schmeiß den Blick gesiebt zum Fenster raus. Wieviel Dschungel – und das Plastik! Wieviel Stein und Stahl und Zebrastreifen, wieviel grade, hart und zackig ist und keine Kurve kennt. Wieviel Häuser einer Drohung gleichen und wie schön heut so ein Käfig ist, man will ihn gar nicht recht erkennen. Immerhin mit Lattenzaun und einem Rasen, dessen Grün bestellbar ist. Mit Schaukel plus dem Selfiestick und einem Baumhaus ohne Baum, von dem zu fallen sehr gefährlich wäre. Dafür gibts n Hund mit Wifi-Halsband und ne Katze, falls der fette Hund bald stirbt. Für alle kitschverliebten Kinder alles, aber doch ab 5, damit sie nicht sofort ersticken. Zumindest bis sie jagen können. Und die Schneidezähne funktionieren. Wenn sie feierlich in die Gesellschaft ziehen und begierig lernen, wie die Gier … aber das ist ja alles scheißegal, sagt jetzt die Scheiße, die vom Klo aufblickt. Und verschmilzt erneut mit Zeitung und den Fersehwochentipps.
Fressen als Programm. Und weder Fern- noch Nahbedienung, bloß die angeleerten Batterien und zu kleingroteske Ärmchen, um sie auszutauschen; in sich, an sich: unerreichbar. Immer wieder Fressen, Zähne putzen, scheißen, sterben und so weiter und so fort und immerzu – und dazwischen dieses Echo einer Murmel, die Erinnerung an vage Gesterns, der Gestank und das Gebrüll des leeren Magens. Jeden Tag die gleiche Scheiße, die zum Himmel stinkt. Fressen macht nicht froh, wenn das Fressen alles und nach dem Fressen alle ist. Heute keinen Hunger! raune ich, heute keinen Hunger! proklamiere ich, pathetischträge von Gefräßigkeit, nein, nur Diät, diesen Hunger will ich nicht. Vielleicht ne Möhre. Oder n Viertel einer Achtelwurst aus Tofu und Vergessen. Fressen! Fressen lassen. Einfach sein lassen, nur für heute, vielleicht morgen. Einfach „nein!“ oder gar „und wenn schon!“ hineingespuckt in diese Maske der Für-immer-die-gleiche-Evolution.
Aber das ist alles Unsinn. Ich bin unsinnig aus der Zeit gefallen. Was fällt mir ein! Natürlich verwechselt man mal Gesterns. Kommt ja vor in diesen Tagen, die eigene Namen nicht verdienen. Willkommen im eintausendfünfhundertneunten Montag. Alles gut, alles beim Alten? Nein nein, muss ja, alles gut, alles ok. Ich seh das ohne Brille ein. Aber nur für dieses Heutefastgestern. Morgen werd ich über Gestern sagen: Ein Tag wie ein Tier namens Tyrannosaurus Selbst. Verschwommene Kraft versteckt in einem Berg aus Fleisch und Sehnen, Jägeraugen und mordsgierigen Zähnen. Wenn ich bloß schon heute denken könnte, dann dächt ich in Lawinen, in Vulkanen, wie zuvor – und explodierte. Dann fiele alles von mir ab. Und toste gegen den nahezu hohlen Tyrannosaurusmurmeltresor. Was waren denn die Schädelzahlen? Und die Kombination? Klack Klack – Klammpff. Und darin? Eine Murmel, die für zwei schallt. Immer zwei, das ist das Höchste, ja, das wars. Über zwei geht nichts hinaus. Alles andere ist Ohrenterror, Weltenkrach, ein Kosmos, der schreit. Mir liegt der Lärm noch auf der Zunge: Ahhhh. Noch immer Blut und Spucke und zu kurze Arme. Wie denn damit dirigieren? Ordnung in das Chaos bringen, all das Lärmen dämpfen, gar melodisieren? War das Gestern noch die Möglichkeit? Das wars. Was solls. Fatale Tage. Lebensfalle. Sendeende. An irgendeinem Morgen wieder. Schlafen. Trotte noch zurück zum Bett, dann ist es da, dann schlägt es mich wie ein Komet: was für ein Dauern.
Dann wieder dieser Hunger. Diese beutelose Landschaft. Das Sich-selbst-zur-Beute-werden und Bezeugen einer Ära nur aus Aas, das stinkt. Diese Tyrannei alles Vergeblichen, Lebendigen und Unabwendbaren, das endet: Diese Melancholie des Aussterbens und das stete Spülen einer Leere, die nicht mehr vom Klo aufsteht.