Nur weil sich die Welt dem Geist im Großen und Ganzen in geradezu hemmendem Grau präsentiert, heißt das ja nicht, dass man sie nicht schwarz und weiß sehen kann; natürlich kann man sie schwarzundweiß sehen, um sich durch die künstliche Kontrastierung so richtig in Rage zu sehen, und in dieser Rage, in die man sich hineingesehen hat, in der Folge so richtig auszurasten. Man sieht rot, sagt man dann. Man sieht rot und rastet in der Folge aus. Dem Rotsehen folgt das Ausrasten. Rotsichtungsinduzierte Ausraster könnte man sagen. Aber das wäre natürlich, wenn die Welt im Großen und Ganzen grau wäre, Unsinn. Wenn die wahre Welt nun nicht grau wäre, sondern sich kokettierend nur grau präsentierte und nun einer durch die Koketterie der Grau tragenden und grau daherkommenden Welt irrtümlicherweise sagte: die Welt ist grau, aber ich sehe rot, so würde diese Aussage doch recht beharrlich irritieren. Wie soll man denn in einer grauen Welt rot sehen? Man müsste ja zu einem von zwei Schlüssen kommen: Entweder ist die Welt gar nicht grau, zumindest nicht im Großen und Ganzen, sondern nur hier und da, und wird nicht unbedingt hier, sondern eher da drüben, und nicht da, sondern eher viel weiter hinten, weniger grau, um nicht zu sagen: farbig, und also möglicherweise grün und blau, wenn auch gedeckt grün und bescheiden blau, weniger grell, eher mattfarbigabernichtgrau, vielleicht, letztendlich und wenn auch nur andeutungsweise rot. Aber eben nicht grau, obwohl irgendwer sagte, die Welt wäre grau. Issejanicht!, würde man entgegnen. Der andere Schluss bestünde womöglich in der Einsicht, dass jeder in der Welt sieht, was er will, egal wie die Welt ist. Da kann die Welt im Großen und Ganzen grau sein, da kann die Welt auch im Großen oder Kleinen oder Vulgären oder Erhabenen sein, wie sie will! – das stört den Betrachter gar nicht, das juckt ihn einfach nicht, ihn, der trotzdem rot sieht, wann immer er will. Das wird man ja wohl noch sehen dürfen!, sagte er vielleicht, der empörte Betrachter. Der ignoriert das Grau vielleicht einfach. Sagt sich vielleicht: Grau hilft mir nicht weiter. Auf Grau kann ich kein Urteil gründen, sagt er vielleicht. Wenn alles grau ist, wie sollte ich mich dann entscheiden? Für alles? Aber eine Entscheidung muss doch zwischen Alternativen wählen und also ist doch die Entscheidung für grau keine, wenn sie nicht gleichzeitig eine Ablehnung des Nichtgrauen ist. Aber wie sollte es in einer grauen Welt das Nichtgraue geben? Wie ist diesem Grauen beizukommen?
Kein Wunder, möchte man meinen, dass mancher angesichts des Grauens irgendwann ausrastet. Denn das Graue lässt rosten: wenn niemand Schwarz und also die alleinige Schuld trägt und niemand weiß, und also die Unschuld ist, dann lässt er sich so schlecht mit gutem Gewissen und das heißt: in der von allem Grauen entfernten Eindeutigkeit erschlagen (oder in den Himmel loben). Grau verlangsamt den nach Urteilen gierenden Geist, setzt ihn Schatt und Matt und verohnmächtigt ihn. Grau ermüdet und erlaubt ja keine feuerrothochlodernde Rage. Wenn alle grau sind, wer ist dann der Feind? Wie soll man hassen, wenn der andere man selber ist? Natürlich kann er nicht genauso sein, er muss schon etwas heller oder dunkler sein, eben mehr im dunkleren Grauen oder eher helleren Grauen, mehr ins Hellefastschonweiße, eben mehr ins Dunklefastschonschwarze, eben Weiße, eben Schwarze, seien wir doch konsequent, von wegen Grau, die Welt ist schwarz und weiß, und wer sie sieht wie dieser Geist, den niemand sehen kann, der irrt. Nur Schwarz und Weiß erlauben Rot, ganz einfach. Weil man Handeln muss. Nur mit Schwarz und Weiß ist dem Grauen beizukommen.
Nur Schwarz und Weiss erlauben Rot