Wir und das Leben, das wir wollen
Der Wunsch ist der Vater des Gedankens
Der Ausblick beim Kreislauf
Er sagte: Etwas stimmt mit Ihrem Kreislauf nicht. Wieso? Der ist doch nichts besonderes. Eben, sagte er. Worauf achten Sie, wenn Sie laufen, fragte er. Achten? Beim Laufen? Auf die Atmung. Wo ich hintrete. Wo ich hinlaufe. Eben, sagte er.
Der Blick auf das Ziel
oder: die gewohnte Anziehung der Zugvögel
Die Zugvögel waren schon längst wieder zurück, als wir noch auf den steinernen Bänken saßen und auf penibel getrimmte Grünflächen glotzten. Drumherum Gekreische und Gezwitscher, ein selbstvergessenes Gelächter. Bundesjugendspiele mit Hurra und Haha-guck-dir-mal-die-Dicken-an. Die Ränge sind voll, die Schaulust auf dem Höhepunkt: sie richtet sich auf die Vorführung und die Vorgeführten. Sportlehrer Horn kann endlich wieder in die Luft ballern, seine Freude ist die kindlich offensichtliche, als er den Hahn zieht, den Mädels eine Sekunde zu lang auf die angespannten Hintern guckt und dann voller Erregung abdrückt. Der Schuss geht ins Leere, die Läuferinnen rasen los, den Blick verstörend genau auf eine unsichtbare Linie gerichtet, die sie in 100m Entfernung vermuten. Dann sind die Nächsten dran, immer weiter: Anstellen, auf die Knie, Hintern hoch, Blick geradeaus, Warten – um sein Leben rennen. Was für ein herrschaftlich perverses Schauspiel.
Menschentrauben kümmern sich um das Messen und Vergleichen von Weiten: Heiner war wieder allen davongesprungen. Schon seit Vater war ein Riese und vor über 20 Jahren unangefochtener Weitsprungmeister. Irgendwann hat irgendeiner so eine alte Urkunde in einer Vitrine gesehen, sowas blieb in Erinnerung. So auch jetzt: Das war wirklich sehr gut, Heiner, sehr gut, nickt Frau Sperling, und trägt Heiners Punktzahl gewissenhaft wie eine Anamnese ein.
Timo brüstet sich, er habe keine Konkurrenz und dehnt sich vor seinen zwei Freundinnen, die nichts voneinander wissen. Seine ironische Beschwerde wirkt wie Masturbation im Freien, im Mittelpunkt des Geschehens, wo eben immer nur einer stehen kann. Die anderen erfüllen ihre Randfigurenrollen, schmückende Beimenschen, Hecken für die Nutzflächen. Thomas ist schon wieder im Gebüsch. Wollte mal mehr als die Teilnahmeurkunde, kommt aber vor lauter Kotzen nicht zum Teilnehmen. Er ist wie viele nur die plattverglichene Tribüne der Triumphe Anderer: Der feinsinnige Thomas am Rand mit Heckengrün, der stumpfsinnige Timo auf dem Treppchen mit Lorbeer. Ausgleichende Gerechtigkeit, denke ich. Thomas kann lesen, Timo rennen. Wenn man sonst nichts kann, kann man immer noch laufen. Und dafür wird man bei diesen ehemaligen Reichsjugendwettkämpfen ausgezeichnet. Für physische Präsenz. Den Willen zum Sieg. Früher hatte es nicht geschadet, wenn man blond war, mit blauen Augen, irgendwie stählern, unbestechlich deutsch. Aber heute ist alles anders. Es gibt keine völkischen Elemente mehr und Blondsein ist nur noch Frage der Ästhetik. Heute heißt es nicht mehr Reichsjugendwettkampf, was unangenehm zutreffend wäre, sondern Bundesjugendspiel. Aus dem Reich erstand der Bund, aus dem Kampf das unschuldige Spiel, in dem der Mensch er selbst wird: Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Wortes Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt. Ein Glück, dass diesem Staat diese Ideale so am Herzen liegen, man möchte sich nicht vorstellen, wie Menschen sich entwickelten, wenn sie nur in dem Gedanken an Wettbewerb und Kampf aufwüchsen. An das gegenseitige Ausstechen beim Erreichen des Endsiegs. Gar bewertet werden, mit Punktzahlen, amtlichen Stempeln. Oh Thomas, nicht schon wieder.
Die sogenannten Spiele endeten erwartungsgemäß. Die Sieger wurden bestätigt, die Verlierer getröstet: auf drei Medaillen kamen etwa 90 andere, die zu ihnen aufblicken durften. Alles braucht einen Rahmen. Schmückende Beiwörter für heldenhafte Hauptsatzsubjekte. Wichtige Teilnehmerinnen und Teilnehmer ohne die ein Sieg nicht von Bedeutung wäre. Mir war das von vornherein egal. Ich begriff Wettbewerb sowieso nicht, damals schon nicht, ich war ins Simple verstrickt: Ich wollte nur, dass mich das Mädchen aus der 10B sieht. Aber die meiste Zeit ignorierte sie mich sträflich. Dann plötzlich ihr Blick und mir entglitt der Diskus sonstwohin.
Etwas später wurde mir weiß vor Augen. Aber was war eigentlich passiert? Ich hatte an die beruhigende Eleganz der Zugvögelformationen gedacht, dann musste ich zum 100m-Lauf gegen Timo und die anderen.
Timo konnte es nicht fassen. Er war besiegt worden. Ausgerechnet beim 100m-Lauf, seiner Königsdisziplin. Da stand er nun, ohne Krone, verdemokratisiert von einem, der ihn abgelöst hatte. Nun war er plötzlich Fußvolk. So wie die anderen. Sieglos. Er schämte sich. Nicht, dass seine Eltern sich dafür interessiert hätten; außer Papier, Medaille und einem „Sehr gut, Timo, sehr gut“ von Frau Sperling hätte es ohnehin nichts gegeben. Außer der Ehre, der Anerkennung, der Blicke. Vielleicht hätte er mit dem scharfen Mädel aus der 9C was anfangen können, wenn er auf ihren Begeisterungssturm ganz locker erwidert hätte: „Ach ja, nichts Besonderes, man gibt sich eben Mühe, ne? Die anderen waren doch auch ganz gut“. Nun war er selbst „ganz gut“ und nichts fühlte sich schlechter an.
Thomas und ich saßen früher öfters auf den steinernen Tribünen. Während der Pausen, in den sogenannten Freistunden, mit Kakao und Aussicht. Musterung nannten wir das. Also nicht so wie damals bei der Musterung, als eine ukrainische Gewichtheberin einem die Hose runterzog, mit den Hoden Pingpong spielte und liebevoll die Prostata bespielte, als sei sie eine Billiardkugel. Wobei ich nicht garantieren kann, dass es ganz genau so verlief, es fühlte sich nur so an, damals, bei der Musterung.
Wenn Thomas und ich musterten, dann wie vegetarische Falken im Rüttelflug. Aus Interesse und wolkiger Entfernung, nicht um Beute zu jagen. Naja, vielleicht ging es um ein wenig Beute. Wir beobachteten Timos Eskapaden mit den verschiedenen Mädchen, die nichts voneinander wissen durften und seine Umwege über den Schulhof, seine Ablauf- und Alibistrategien. Wir sahen zu Heiner und seinen Freunden, die in jeder Pause mit Tennisbällen auf den Tischen spielten, hin und her, 11:1, Wechsel, hin und her, 1:11. Ich sah zu dem Mädchen aus der 10b, wenn sie sich überhaupt mal blicken ließ und Thomas, ja Thomas, der guckte eigentlich immer wieder zu den nicht wirklich kreisrunden Aschebahnen. Nicht, dass er der melancholische Klischeeklops gewesen wäre, den Alphamännchen und -frauchen in passenden Momenten grandios inszenierter Rührung bedauerten und der insbesondere in Geschichten billig Mitleid heischt, um ein konstruiertes Argument zu gewinnen. Nein, er war körperlich völlig durchschnittlich, mittelmäßig attraktiv, wenn man das von einem Jungen aus der zehnten Klasse überhaupt sagen kann, und nicht trauriger als alle anderen von ihrem Wunschpartner verschmähten Menschen. Er war mittelmäßig in der Schule, so wie eigentlich alle, die man gern um sich hatte, und vielleicht der liebenswürdigste Mensch, den ich kannte, auch wenn keine Kopfnote oder Urkunde das bestätigte – das müsst ihr mir schlicht glauben.
Aber ich komme vom Thema ab: Thomas hatte ins Gebüsch gekotzt, weil irgendwelche Protofaschisten meinten, Leibesertüchtigung und Wettbewerb seien nicht nur nötig, sondern erquicklich, anspornend und gut. Und weil Wahlfreiheit schon immer wichtig war, waren sie verpflichtend. Natürlich hätten wir uns widersetzen können, aber in dem Alter ist man eben nicht konsequent. Man rennt. Man rennt mit und wirft und springt, wie einem das gesagt wird. Man beobachtet vielleicht Zugvögel, begreift ihre Tragik aber nicht. Ich wünschte, ich könnte sagen, für Thomas war das nur ein mieses Erlebnis an einem durchschnittlich schlechten Tag. Aber er sollte noch öfter daran erinnert werden. Ich wünschte, ich könnte sagen: da, wo Thomas kotzte, wächst heute ein metaphorisches Mädchenauge (eine durchschnittlich gelbe Blume). Aber da steht noch immer dieselbe grüne Hecke voller Unkraut.
Die Zugvögel flogen ihr Leben lang hin und wieder zurück. Immer wieder zum Fressen unter den kräftezehrendsten Umständen hin und wieder zurück. Evolutionäre Anpassungsleistung, sagte unser Biolehrer. Einfallsloser Stumpfsinn, sagte Thomas. Man stelle sich mal vor, begann er während irgendeiner sonst nicht weiter denkwürdigen Pause, als wir wieder auf den steinernen Tribünen saßen: Diese Viecher kommen hier aus der Provinz, in der nur das Gras wächst und gedeiht. Durchschnittliche Hecken, genormte Bahnen, regelgetreue Spiele. Kleinstadt mit Kreisverkehr. Zwei-Kinder-Familien in durchschnittlichem Unglück, unterbrochen von sporadischen Momenten mittelmäßiger Freude über ein paar mehr Euro Weihnachtsgeld und zwei Wochen Urlaub in der Nichtprovinz. Und klein Luca hat ne Eins in Sport, wie schön. Das liegt bestimmt auch an der Ernährung, gewissenhaft vegetarisch wie die Mammi, die nur Fahrrad fährt, vorbei an hohen Gartenzäunen und den 22 Bäumen, die man früher noch Wald nennen konnte. Hier bist du so ein Zugvogel, stell dir das mal vor, sagte er, jeden Tag sitzt du da hinten, sagte er und zeigte auf die erstbesten Vögel in Sichtweite, sitzt da und guckst dir das an: Die Aschebahnen, die sogenannte Schule, der Spielplatz, einszwodreivier, einszwodreivier, das Herumrennen, das Zeit abnehmen, das Hinsetzen, Aufstehen, an die Tafel gehen, all die Rituale der Erniedrigung, Setzen Peschke!, das ist inakzeptabel, Peschke!, all das, was Menschen eben so machen, und natürlich denkt ein Vogel nichts darüber, aber wenn er denken könnte, dächte er doch: wie aberwitzig. Und fliegt dann aus dieser Provinz über die gleißenden Gipfel der Alpen, das tiefblau schimmernde Mittelmeer und die glühenden Dünen der Wüsten – nur um nach dem Fressen hierher zurückzukommen. Diese dummen Vögel!
Ich weiß noch, dass ich den 100m-Lauf gewann. Erst wurde mir schlecht, dann wurde es weiß und blieb weiß, egal wie weit ich die Augen aufriss. Ferne Geräusche, Stimmengewirr, das vorsichtige Vortasten nach beruhigendem Widerstand. Nichts. Alles weiß, Übelkeit, verführende Schwerkraft. Ich sinke auf den Boden, höre meinen Sportlehrer. Will kotzen, alles vollkotzen, muss aber Auskunft geben. Als ob ich eine Ahnung hätte, was passiert ist. Ich hab gewonnen und dann bin ich ausgegangen. Man stützt mich. Vage Erinnerungen und Träume steigen auf, ein altes Bild, dann verlier ich von neuem das Bewusstsein. Als ich später erwache, stehen meine Füße in einem Becken kalten Wassers und die Fenster liegen in meinem Rücken.
Der Blick der Zugvögel
Die Lust beim Verlassen des Kreisverkehrs
Sehen als Heften
Leere ist fehlender Fokus
Der Blick auf das Ziel
oder: die gewohnte Anziehung der Zugvögel
Die Bilder verfliegen, ich sehe wieder klar. Thomas steht neben mir, er fragt, was denn los gewesen sei. Ob ich jetzt auf Opa mache. Was war denn?, frage ich, noch immer irritiert, immerhin befreit vom Wunsch, alles vollzukotzen. 100m-Lauf?, klingelt da was? Du bist allen davon gelaufen, du Bestie.
Richtig. Ich hatte mich blenden lassen, so war das: Bereits am Morgen hatte ich nicht frühstücken können: Aufregung. In der Schule war mir sowieso schon blümerant gewesen, dazu Müdigkeit, Unlust. Dieses ganze lächerliche Schauspiel der Bundeswettkampfspiele, die Inszenierung, die Verklärung, das dümmliche Gehabe der auftrumpfenden Lehrer, ganz in der Überzeugung der Notwendigkeit von Bewertungen. All dies selbstverständlich ekelerregend. Dann aber das Mädchen aus der 10b auf der Tribüne. Neben mir Timo, angespitzt wie ein Speer, abwurfbereit, zielorientiert. Ich weiß gar nicht, welcher Wunsch, was genau es war: Timo demütigen oder Eindruck schinden unter den Augen des Mädchens. Die Hände auf der Aschebahn, der Blick geradeaus auf das gewähnte Ziel, nur das Ziel, du und die Bahn, die weißen Linien, die Verheißung des Geradeaus‘, gleich, jetzt gleich, guckt sie auch?, sie guckt bestimmt nicht, trotzdem, gleich, gleich, jetzt. Und so gewann ich den Lauf.
Ob das Mädchen meinen totalen Sieg gesehen hat, weiß ich nicht. Ich kippte einige Minuten später um und sprach sie auch später nicht mehr an, wer weiß, warum. Vielleicht war es mir im Nachhinein peinlich, dass ich sie für jemanden hielt, dem Sieger imponierten. Sie war einige Zeit später mit Jonas zusammen. Der war Dritter oder Vierter oder so, aber wer erinnerte sich schon jemals an die Dritten und Vierten. Man erinnerte sich an den Typen, der mit dem Mädchen aus der 10b zusammen war.
Timo hatte zwar nicht gewonnen, aber die eingebildete Schande ließ sich in den Armen seiner Freundinnen sicher schnell vergessen. Das Thema verflüchtigte sich sowieso, mal davon abgesehen, dass Timo und andere es nicht versäumten, Thomas durch alle möglichen Würge- und Kotzgeräusche immer wieder einmal daran zu erinnern. Ich würde gern sagen, dass Timo nur ein typischer Schulprimat war, der einfach Pech mit seinen miesen Eltern hatte und auch sonst wohl niemanden kannte, der ihm Empathie beibrachte, aber um ehrlich zu sein, weiß ich überhaupt nichts über seine Eltern oder Freunde. Er war einer von den üblichen Idioten, über die man weniger nachdachte als schlechtes Wetter. Er gehörte einfach zum Inventar. Wie dieser quietschende Stuhl in der letzten Reihe.
Thomas nahm sich seinen unrühmlichen Auftritt beziehungsweise Ausfall glücklicherweise nicht so zu Herzen wie manch andere in seinem Alter. Er begegnete dem Kotzkrampf wie ich dem Wettkampf: es hatte offenbar sein müssen und dann war es vorbei. Man konnte keine Lehre daraus ziehen, die den Namen verdiente und so sprach man schon am nächsten Tag von anderem. Zum Beispiel von den Zugvögeln und den Mädels aus der 10a (Sandra) und 10b (die Unbekannte). Um es kurz zu machen: Wir hatten beide Pech. Sandra zog irgendwann weg, ohne dass irgendein Wort fiel, weder von ihr, ihm oder mir. So war es, und dann war es vorbei. Aber war das wirklich Pech? Wer weiß. Vielleicht hätte sie ihn ruiniert, so wie die Unbekannte später Jonas, der nach der Trennung plötzlich alles vögelte, was kein Baum und nicht bei drei auf demselben war. Ach Jonas, nicht schon wieder, seufzten wir, als er wieder auf dem Schulhof jagte, während wir auf den steinernen Tribünen saßen und ihm, Timo und Heiner zusahen, wie sie über den Schulhof liefen, hin und her, wie im Bann einer unsichtbaren Anziehung.
Wir wurden die Zugvögelmetapher irgendwann Leid. Sicher, wir hatten sie noch erweitert um die Notwendigkeit des Sternenkompasses, aber kurz darauf verabschiedeten wir sie in die Bibliothek des Durchdachten. Ohnehin waren wir die meiste Zeit darauf erpicht, uns von der Tragik der Zugvögel nicht anstecken zu lassen. Abschreckende Beispiele hatten sich inzwischen entwickelt: Eine Exfreundin wollte offenbar die Schulbeste werden und fokussierte seitdem nichts anderes mehr: man sah sie schließlich nur noch in der Schule, das ihr zum natürlichen Habitat wurde. Heiner sprach jetzt ständig über Tischtennisübertragungen bei Eurosport und Timo, ach Timo, nicht schon wieder: Freundin A hatte spitzgekriegt, dass Timo neben ihr, A, auch noch mit B zusammen war, und hin und wieder auch von C ein gewisses Vergnügen bereitet bekam, wenn auch vordergründig in fotografischer Art und Weise. Im Grunde war das absehbar: Die Schlusskurve im Kreislauf – bevor er abermals begann, nur dass die Namen wechselten, die sich bald keiner mehr merkte.
Thomas sagte nie sowas wie: Später werde ich mal Polizist. Oder: Ich geh zum Film. Regisseur werd ich, du wirst schon sehen! Er wollte auch nicht Tierpfleger, Sozialarbeiter oder Unternehmer werden, eigentlich wollte er vor allem anderen seine Ruhe. Andere wollten reich, er wollte in Ruhe gelassen werden. Andere dachten an die Häuser, Gärten und Autos, die sie kaufen wollten, Thomas dachte einfach nach und kaufte recht wenig. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass er jemals irgendeine Zukunftsperspektive äußerte, selbst dann nicht, als man uns schon permanent damit auf den Kopf knüppelte, was willst du denn studieren, was willst du denn später machen, mach doch eine Ausbildung, verlier jetzt keine Zeit, vertrödel nicht dein Leben, Thomas, Thomas, im Ernst, du willst doch auch mal ne saftige Rente haben undsoweiter – er imitierte seinen Vater recht gut, ohne allerdings dessen Schwere in die Worte zu legen. Mir gings im Übrigen ähnlich. Und so sehr uns dieser fehlende Magnetismus quälte, so sehr versöhnte uns der Gedanke an den Freund, dem es genauso ging. Das war der beruhigende Rahmen, der Hinter-Grund.
Wir hatten vermutlich irgendetwas nicht begriffen. Mag sein. Mag sein, dass wir recht beschränkt waren, so wie wir in die Hecken kotzten, ohnmächtig wurden und so da saßen, auf den steinernen Tribünen mit dem Blick auf Schulhofspiele. Vermutlich fehlte uns irgendetwas: der Blick auf das Ziel, die Verheißung eines Geradeaus, der anziehende Gedanke über die Eleganz der Zugvögelformation. Ich kann aber nicht sagen, dass wir das bereut hätten. Zumindest hoffe ich das: Thomas habe ich seit Jahren nicht gesehen, auch wenn ich oft an ihn denke, wenn es bewölkt ist: Denn wir haben ja nicht an Zugvögel gedacht.